Rolle der Landesregierung bei der Räumung des Hambacher Waldes 19. November 2019 Mehr als ein Jahr nach dem größten Polizeieinsatz der Geschichte Nordrhein-Westfalens ist erwiesen, dass die Landesregierung sich mit der Räumung des Hambacher Waldes zur Interessensvertreterin von RWE gemacht hat. Offenen Fragen gehen wir als Landtagsfraktion weiterhin nach und haben jetzt in einer Großen Anfrage 85 Einzelfragen an die Landesregierung gestellt. Ihr findet die Große Anfrage im Anhang dieser Kommunalinfo, mit der wir Euch auch über die Schwerpunkte unserer Nachfragen informieren wollen. Verena Schäffer, unsere Parlamentarische Geschäftsführerin, fasst in diesem Video unsere wichtigsten Fragen zusammen. Was bisher geschah Im Sommer 2018 spitzte sich die Situation im Hambacher Wald zu. Die nächste Rodungssaison stand ab dem 1. Oktober bevor und RWE stellte einen Räumungsantrag bei den zuständigen Kommunen und dem Polizeipräsidium Aachen, um auch noch die letzten Reste der Braunkohle unter dem Hambacher Wald auszubeuten. Dieser Räumungsantrag wurde zwar ursprünglich von den Kommunen abgelehnt, jedoch veranlasste das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung im September 2018 durch Weisung an die oberen Bauaufsichtsbehörden die Räumung des Waldes. Als Grund wurde der fehlende Brandschutz der Baumhäuser genannt. Der folgende Polizeieinsatz war der größte Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen. Viele von uns und Kolleg*innen aus dem Bundestag waren damals vor Ort, um sich über den Einsatz zu informieren. Nach dessen Beendigung begann die politische Aufarbeitung im Landtag. Mit vielen Berichtsbeantragungen in den Ausschüssen und zahlreichen Kleinen Anfragen an die Landesregierung haben wir versucht, Klarheit über die Vorgänge rund um die geplante Räumung zu bekommen. Es ging dabei sowohl um den konkreten Polizeieinsatz als auch um die Frage, inwiefern die Landesregierung als Handlangerin von RWE den Wald hat räumen lassen. Folgende Tatsachen konnten wir bereits klären: 1. Brandschutz als Räumungsgrund war vorgeschoben Der Brandschutz diente der Landesregierung letztlich nur als rechtliche Begründung, um den Wald räumen zu können. Diese Art der Rechtsanwendung zeigt das einseitig interessensgeleitete Handeln und untergräbt langfristig das Vertrauen in den Rechtsstaat. Im Rechtsstaat ist das Recht so anzuwenden, wie es gedacht ist und nicht so, wie es Herr Reul gerne hätte, um eigene Handlungsziele zu legitimieren. Im Fall Hambacher Wald lag eine solche Zweckentfremdung des Rechts eindeutig vor. Es ging der Landesregierung nie primär darum, Menschen im Hambacher Wald vor Feuer zu schützen, sondern RWE die Rodung des Waldes zu ermöglichen. Die hauptverantwortlichen Minister*innen, Innenminister Herbert Reul und Bauministerin Ina Scharrenbach, hatten im Jahr 2018 zunächst immer wieder betont, dass eine Verknüpfung zwischen der Räumung und der Rodungsabsicht von RWE nicht bestanden habe. So sagte Ina Scharrenbach in einer Sitzung des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen am 23. November 2018: „Die Räumung der Baumhäuser ist ohne Verbindung zur Beseitigung des Hambacher Forstes. Das sage ich hier in aller Ausdrücklichkeit.“ Auch Herbert Reul äußerte sich zwei Monate zuvor in der WDR-Sendung Westpol in ähnlicher Weise: „Die Räumung hat ja mit der Baumrodung gar nichts zu tun. Da werfen die Leute ja auch alles durcheinander, bedauerlicherweise.“ Im September dieses Jahres musste er schließlich öffentlich zugeben, dass ein polizeitaktischer und damit ein tatsächlicher Zusammenhang bestanden hat. Insofern haben sowohl Minister Reul als auch Ministerin Scharrenbach die Öffentlichkeit und das Parlament über die wahren Hintergründe der Räumung des Hambacher Waldes bewusst getäuscht. 2. Der Polizeieinsatz zur Räumung war unverhältnismäßig und überflüssig Mit Blick auf die in Berlin tagende Kohlekommission und die anhängigen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in NRW war es unverantwortlich, dass der Innenminister diesen Polizeieinsatz überhaupt veranlasst hat. Sowohl politisch als auch rechtlich stand im Raum, dass die Rodung letztlich nicht durchgeführt werden könnte. Ganz offensichtlich wollte RWE durch die Räumung und Rodung noch schnell Fakten schaffen und wurde dabei von der Landesregierung unterstützt. Der Innenminister nahm wissentlich in Kauf, polizeiliche Kapazitäten aus dem gesamten Land sowie dem Bundesgebiet über Wochen massiv zu beanspruchen und damit Kräfte aus kriminalitätsbelasteten Gebieten in Nordrhein-Westfalen abzuziehen. Daher gab es kritische Stimmen auch aus der Polizei selbst. So forderte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Nordrhein-Westfalen, Michael Mertens, „Erst reden, dann roden!“ mit Blick auf die Gefahren, die von einem solchen Einsatz ausgehen. Der Landesvorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW, Sebastian Fiedler, äußerte sich in einer Presseerklärung vom 13.09.2018: „Diese Amtshilfe hätte zum jetzigen Zeitpunkt versagt werden müssen, weil dem Land erhebliche Nachteile bei der Gewährleistung der Sicherheit für die Bevölkerung entstehen.“ 3. Absprachen zwischen Landesregierung und RWE Zunächst hieß es vom Innenminister, dass es weder Absprachen noch Gespräche mit RWE gegeben habe. Anschließend musste er zugeben, dass sehr wohl Gespräche, sogar zur Vorgehensweise der Räumung, mit RWE im Vorfeld geführt worden waren. Dass er während eines Interviews mit dem WDR vergessen haben will, dass er selbst an Treffen mit RWE-Vertretern teilgenommen hat, ist wenig glaubwürdig. Offenbar wollte Herr Reul öffentliche Diskussionen über solche Gespräche verhindern. 4. Die Landesregierung erschwert Aufklärung Wir GRÜNE haben immer wieder Druck gemacht, damit die Landesregierung die Öffentlichkeit und das Parlament über die Hintergründe des Polizeieinsatzes informiert. Mitte September 2019 gewährte die Landesregierung Abgeordneten Einsicht in Teile der Akten des Innenministeriums, des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung und der Staatskanzlei. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass die Landesregierung die Akten nicht vollständig offengelegt hat. So enthielt beispielsweise die Akte der Staatskanzlei lediglich Kleine Anfragen. Entweder hat die Landesregierung der Öffentlichkeit also Akten aus der Staatskanzlei vorenthalten oder aber der Ministerpräsident hat sich schlichtweg nicht für eines der zentralen und bestimmenden Themen in seinem Bundesland interessiert. Letzteres käme einem Führungsversagen in einem entscheidenden Punkt für das Land NRW gleich. Welche Fragen sind noch offen? Nachdem wir ein Jahr lang nachgebohrt und Druck gemacht haben, Minister*innen sich widersprochen haben und Kehrtwenden vollziehen mussten, bleibt als erschütterndes Ergebnis, dass die Landesregierung ein schwieriges Verhältnis zum Recht und zur Wahrheit hat. Einige Aspekte rund um den Polizeieinsatz im Hambacher Wald bedürfen weiterer Aufklärung. Daher haben wir Äußerungen und Antworten der Landesregierung ausgewertet und heute die Große Anfrage eingereicht, um noch offene Fragen endlich beantwortet zu bekommen. Offen ist, welche Rolle Ministerpräsident Laschet im Vorfeld und bei der Räumung des Hambacher Waldes eingenommen hat. Nach Auswertung aller bisherigen Informationen scheint er seiner Führungsrolle nicht gerecht geworden zu sein und sich weggeduckt zu haben. Mehrfach haben wir GRÜNE ihn während der Räumungsphase aufgefordert, in den Dialog zu treten und eine Schlichtung in dem Konflikt herbeizuführen, der da die Menschen längst über die Grenzen NRWs hinaus beschäftigt hatte. Rechtlich höchst interessant ist die Frage, ob bei der Vergabe der Rechtsgutachten zur Möglichkeit der Räumung im Innen- und Bauministerium die Vergaberechtsvorschriften tatsächlich eingehalten wurden, wie bislang von Innenminister Reul und Bauministerin Scharrenbach behauptet. Ein Rechtsbruch scheint nicht ausgeschlossen zu sein. Mit dem in der Großen Anfrage enthaltenen umfangreichen Fragenkatalog zu den Vergabeverfahren fühlen wir daher der Landesregierung noch einmal auf den Zahn und hoffen, dass auch der Landesrechnungshof sich dieser Vorgänge im Innen- und Bauministerium annimmt. Zuletzt ist Mitte Oktober 2019 bekannt geworden, dass die Kommunen, in denen der Hambacher Wald liegt, vom Baumministerium Ersatz für ihre Ausgaben für nichtpolizeiliche Maßnahmen in Höhe von über 716.000 Euro fordern. Die Stadt Kerpen, eine der betroffenen Kommunen, beruft sich darauf, dass das Ministerium kurz vor der Räumung den Kommunen zugesagt hatte, die Kosten zu übernehmen. Zu diesem Komplex haben wir eine separate Kleine Anfrage eingereicht. Über diese drei Aspekte hinaus enthält die Große Anfrage Fragen zur Kommunikation der Landesregierung mit RWE im Vorfeld der Räumung, zu ablehnenden Bescheiden zum RWE-Antrag vom 2. Juli 2018, zu den Weisungen des Bauministeriums und der Bauaufsichtsbehörden und zur Gründung der Besonderen Aufbauorganisation „Rodung“ (BAO) sowie zur Entwicklung der Straftaten im Hambacher Wald im Jahr 2018. Wie geht es weiter Die Landesregierung hat nach Einreichung einer Großen Anfrage bis zu drei Monate Zeit zur Beantwortung, eine Verlängerung ist möglich. Sobald uns Antworten vorliegen, informieren wir darüber. Sollte es in der Zwischenzeit neue Erkenntnisse geben, werden wir zum Beispiel mit Kleinen Anfragen weiter nachhaken.