Maikundgebung im Burgtheater

Am 1. Mai hatte der DGB-Ortsverband Dinslaken – Voerde – Hünxe traditionell zur Maifeier in Dinslaken eingeladen. Wie auch in den letzten Jahren ging der Demonstrationszug zur Kundgebung für mehr Solidarität vom Bahnhof zum Burgtheater.

Auch wir waren wieder vor Ort und nahmen an der Veranstaltung teil, deren Inhalte wir mit voller Überzeugung teilen. Nach der Eröffnung durch Alexander Lazarevic, dem DGB-Ortsverbandsvorsitzenden, und einer kurzen, aber prägnanten Ansprache von unserem Bürgermeister Dr. Michael Heidinger, in welcher er die vollständige Umsetzung des Konnexitätsprinzips forderte, folgte eine starke und ehrliche Mai-Rede von Jürgen Widera, Pfarrer der KDA Region Niederrhein.

 

Wir haben Herrn Widera um seine sehr gelungene Rede gebeten und stellen Sie euch hier in unseren Kommentaren zur Verfügung.

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Ein Kommentar

  1. Zeit für mehr Solidarität!
    Treffender könnte das Motto in diesem Jahr kaum gewählt sein.

    Ich fange mal mit dem Papst an: In einem Apostolischen Brief schreibt Franziskus, „das Wort ‚Solidarität‘ habe sich ein wenig abgenutzt und werde manchmal falsch interpretiert. Es erfordere mehr als einige gelegentliche großherzige Taten, nämlich eine neue Mentalität, die in den Begriffen der Gemeinschaft und des Vorrangs des Lebens aller gegenüber der Aneignung der Güter durch einige wenige denkt und die soziale Funktion des Eigentums anerkennt.“ (Evangelii gaudium)

    Vorrang des Lebens aller gegenüber der Aneignung der Güter durch einige wenige – eine solche auf Solidarität gründende neue Mentalität ist das komplette Gegenteil der herrschenden Mentalität im globalen Kapitalismus. Mit der fortschreitenden Konzentration des Reichtums in den Händen immer weniger, die gar nicht daran denken, über vielleicht „gelegentliche großherzige Taten“ hinaus, sich für das Gemeinwohl zu interessieren und sich um die soziale Funktion des Eigentums einen Dreck scheren.
    Ja, es ist Zeit für mehr Solidarität, eine neue Mentalität der Solidarität.
    Solidarität in der Flüchtlingsfrage. Solidarität in der Europäischen Union. Solidarität in der Weltgemeinschaft. Solidarität in unserem Land.

    Als Angela Merkel versuchte, die europäischen Staaten zur Abnahme von Flüchtlingskontingente zu verpflichten, lief sie vor eine Wand. Das hat auch mit ihr zu tun, oder genauer: mit der Politik der aktuellen Bundesregierung gegenüber Europa. Die geprägt ist von Überheblichkeit und Selbstherrlichkeit. „Europa spricht jetzt deutsch“ (Kauder)
    Er meinte damit, dass die strikte deutsche Sparpolitik in Europa zum Mainstream geworden war. Dass sich diese Politik für viele Staaten aber zum Nachteil entwickelt hat, wird beharrlich ignoriert. Wie rigoros die Merkel-Regierung ihren politischen Kurs in Europa durchdrückte, zeigt beispielhaft der Umgang mit Griechenland.

    Deutschland ist der Anführer einer gnadenlosen Austeritätspolitik gegenüber Griechenland und anderen Euro-Krisenländern. Sparen, sparen, sparen – nur dann gibt es neue Kredite. Aber nicht für die Wirtschaft, um sie anzukurbeln, sondern um die vorherigen Schulden zu bedienen, also für die Banken, natürlich auch und nicht zuletzt unsere Banken.
    Nachdem diese Politik seit 2010 die griechische Wirtschaft in kaum vorstellbaren Maße schrumpfen ließ und insbesondere den Mittelstand zertrümmert hat, erpresste Schäuble im vorigen Jahr die neu gewählte linke Regierung zu weiteren sozialen Grausamkeiten und zum Ausverkauf der wenigen noch verbliebenen profitablen Staatsunternehmen, wie Flughäfen. Griechenland ist inzwischen ein Selbstbedienungsladen für europäische und insbesondere deutsche Konzerne, erst in diesen Tagen ist eine einheimische Elektronikkette insolvent gegangen, so dass jetzt nur noch zwei ausländische Anbieter übrig sind, einer ist Media Markt – die sind ja nicht blöd.
    Eine Ausplünderung des griechischen Volkes. Früher nannte man das Raubrittertum.

    Mit furchtbaren Folgen: Jeder dritte ist arbeitslos. Nach 1 Jahr fliegt man aus allen sozialen Sicherungssystemen. Keine Sozialhilfe, keine KV. Das Gesundheitssystem faktisch zusammengebrochen und für mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr existent, Medikamente sind kaum vorhanden oder unerschwinglich. Verzweifelt versuchen ehrenamtlich arbeitende Ärzte und Krankenpfleger in sogenannten „Solidarischen Kliniken“ diese Menschen ohne Versicherung und Geld kostenlos medizinisch zu versorgen.

    Die Jugend-AL liegt bei dramatischen 50%. In Spanien übrigens genauso, Italien 40%, Frankreich 25%, (Kein Zufall, das aktuell wieder gerade die jungen Leute auf die Straße gehen gegen Arbeitsmarktreformen zu protestieren, Studenten und Gewerkschafter Seite an Seite).

    Jugend-AL Eurozone-Durchschnitt 22%.
    D 7% – wirklich nur, weil wir so gut sind und besser als andere?
    Ich denke nein.
    Denn zum einen befinden sich viele Jugendlichen in Warteschleifen wie Qualifizierungsmaßnahmen oder berufsvorbereitende Schulen, mit oft geringen Aussichten auf einen auskömmlichen Job. Zum anderen hatten und haben wir eine blendende Konjunktur. Das ist erfreulich, hat aber auch mit Solidarität zu tun.
    Seit Jahren läuft es vor allem deshalb so gut, weil wir Export-WM sind. Das sind wir auch deshalb, weil unsere Produkte billiger geworden sind, weil unsere Löhne über viele Jahre gesunken sind, weil wir als einziges EU-Land bis vor kurzem keinen Mindestlohn hatten, weil wir uns damit Wettbewerbsvorteile verschafft haben, auf Kosten anderer EU-Länder. Selbst die nicht gerade als linksradikal bekannte Industrieländerorganisation OECD kritisiert seit Jahren, dass unsere Lohnentwicklung zu niedrig ist und insbesondere den wachsenden
    Niedriglohnsektor, der die soziale Kluft vertiefe. Vom Wachstum in der Bundesrepublik müssten mehr Bürger profitieren – sagt die OECD!

    Andere formulieren es noch deutlicher. Wie der amerikanische Ökonom Adam Posen, der Deutschland gar vorwirft, als Billiglohnland zu konkurrieren. „Deutschland zahlt seinen Arbeitnehmern keinen der Produktivität entsprechenden Lohn. Es bringt seine Beschäftigten um die Früchte ihrer Arbeit.“ Das kann man so sagen.
    Darüber hinaus kritisiert er, dass Deutschland nicht investiert, weder im öffentlichen noch in den privaten Sektor. Dies wiederum ist Folge der Sparpolitik. Der Fetisch der „schwarzen Null“ lässt unsere Städte und Kommunen ächzen und verhindert notwendige Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen würden, von denen man leben kann. Und eine Rente ermöglicht, die menschenwürdig ist.
    Auch in einer florierenden Wirtschaft wie der unseren ist die Sparpolitik schädlich, nur die Folgen sind nicht so eklatant wie in einer Situation großer wirtschaftlicher Probleme.
    Da ist diese Politik pures Gift. Eine solche Politik – so analysiert ein anderer US-Ökonom, Paul Krugman – „schafft kein Vertrauen, sondern erschwert es vielmehr, den betroffenen Staat durch die Krise zu steuern“ Und: „Die Belastungen werden durch Einschnitte in den Sozialhaushalt ungerecht verteilt und treffen vor allem die Armen.“ Genau das erleben wir in Griechenland und anderen Staaten.

    Krugman verweist auch auf Erfahrungen während der Weltwirtschaftskrise in den 1930ern:
    „Dass die rigorose Defizitdeckung durch Steuererhöhung und Ausgabenkürzung die Depression vertieft und das Haushaltsdefizit immer von neuem erzeugt, haben eine Reihe europäischer Staaten in der Periode von 1930 bis 1935 nacheinander erfahren müssen; besonders Deutschland bis 1933“. Wo das dann hingeführt hat, wissen wir.

    Davon sind wir Gott sei Dank weit entfernt, aber das Erstarken rechter und gar rechtsextremer Parteien sollte uns Warnung genug sein. In Ungarn und Polen regieren sie bereits, Österreichs FPÖ und Frankreichs FN haben beste Chancen bei den Präsidentschaftswahlen, die AFD mischt gerade die deutsche Wahllandschaft auf. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber Sorge macht das schon. Zielsetzung der Gewerkschaften war es immer, die EU von einer Wirtschafts- zu einer Sozialunion weiter zu entwickeln, nach Vorbild der sozialen Marktwirtschaft, in der Solidarität ein Grundpfeiler ist. Wenn diese politischen Kräfte zum Zuge kommen, dann gute Nacht.

    Es steht schlecht um die Entwicklung Europas. Das ist natürlich nicht allein die Schuld unserer Regierung. Aber deren Europapolitik befördert den drohenden Zerfall. Der Einfluss Deutschlands ist weniger geworden. Ich bin gespannt, ob unsere Politiker es schaffen, sich in der Stahlkrise das nötige Gehör zu verschaffen, unsere Stahlindustrie zu schützen und die überzogenen Pläne zum Emissionshandel zu stoppen. Es ist sehr ernst. Wenn wir nach dem Bergbau auch den Stahl verlieren, wird das für unsere Region zum Desaster. Ich will mir das gar nicht ausmalen.
    Und habe große Sorge.

    Das Vertrauen der europäischen Staaten in die politische Führungskraft Deutschland ist deutlich gesunken. Der Widerstand gegen Merkels Flüchtlingsplan für Europa ist ein Ausdruck dessen.

    Doch jetzt allein darauf zu schimpfen, dass sich die anderen Länder in der Flüchtlingsfrage unsolidarisch verhalten – was stimmt – ist aber zu einfach. Als Italien und Griechenland bei der vorherigen Flüchtlingswelle um Hilfe riefen, weil sie überfordert waren mit der Erstaufnahme und Registrierung, da war es Deutschland, die mit dem Verweis auf Schengen- und Dublin-Abkommen Unterstützung verweigerten. Man sollte daran erinnern, wenn es um die Frage von europäischer Solidarität geht.
    Sei‘s drum. Jetzt sind die Flüchtlinge also überwiegend bei uns.
    Und das ist auch gut so. Ebenso ist aber auch klar, dass es so nicht weiter gehen kann.

    Es wurden jetzt kurzfristig Lösungen gefunden. Fluchtrouten wurden geschlossen, das Abkommen mit der Türkei, was vorübergehend zumindest zu funktionieren scheint, um den unkontrollierten Zustrom zu verringern. Es sind Lösungen, die sich gegen Menschen richten, die ein besseres Leben wollen. Das ist sehr bitter. Es müssen daher mittel- und langfristig andere Lösungen her, viel bessere Lösungen, und das heißt vor allem: In den Flüchtlingsländern wirtschaftliche und soziale Strukturen zu fördern, die sie wieder lebenswert machen. Das sagt sich leicht, und ist eine Herkulesaufgabe, die, wenn sie tatsächlich gelingen könnte, mindestens so viel Geld kosten würde, wie die Bankenrettungen nach dem Lehmann-Crash.

    Aber warum eigentlich nicht? Warum nur für Banken? Warum nur für das perverse Finanzsystem?
    Mal eine Zahl: Weltweit werden jährlich reale Güter und Dienstleistungen im Wert von 70 Billionen Dollar produziert – während 1700 Billionen auf den Finanzmärkten umgesetzt werden (25-fache).

    Ein Gutteil dieser vagabundierenden Geldströme entsteht übrigens durch Flüchtlinge – Steuerflüchtlinge. Die sind das viel größere Flüchtlingsprobleme. Sie sind Abbild des entfesselten Kapitalismus, der nur ein Ziel kennt: Den Profit, möglichst maximal.

    Vivien Forrester (Terror der Ökonomie):
    „Diese Märkte bestehen aus Wetten auf Wertpapiere, Schulden, Zinsen und Wechselkurse. Ein Kreislauf, bei dem man kauft und verkauft, was nicht existiert. Oder man tritt Schulden ab, die nun ihrerseits unbegrenzt verhandelt, wieder verkauft, wieder gekauft werden. Diese Märkte bewirken keinerlei „Wertschöpfung“, keinerlei wirkliche Produktivität. In diese Märkte, die keinerlei Arbeit von Anderen voraussetzen, die keine realen Güter produzieren, investieren heute die Unternehmen immer häufiger immer größere Teile ihrer Gewinne, da hier ein schnellerer und größerer Profit erwirtschaftet wird.“

    Schrieb Forrester Ende der 90er Jahre. Seitdem hat sich nichts geändert, gar nichts.
    Das ist die Folge einer Globalisierung, die nach den Spielregeln des neoliberalen Kapitalismus gestaltet wurde und die Ungleichheit fundamental verstärkt hat: bei uns, zwischen den Staaten Europas und – ganz extrem – weltweit. Die Macht der Stärkeren hat die Ausbeutung in den armen Ländern weiter voran getrieben und die Not von immer mehr Menschen befördert. Hinzu kommen die anhaltenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise infolge der Finanzspekulationen und die Folgen der Destabilisierung ganzer Weltregionen durch Waffenlieferungen in Krisengebiete und an äußerst zweifelhafte Verbündete, wie Saudi-Arabien oder an dschihadistische Rebellen im Kampf gegen Assad. Wen unterstützen wir da eigentlich? Als gäbe es gute und böse Dschihadisten, was für ein Schwachsinn.. Dschihadismus ist zu bekämpfen, überall, sei es in Syrien oder in Dinslaken.

    Und da sind im Besonderen die Angriffskriege der „westlichen Wertegemeinschaft“ wie in Afghanistan, in Libyen, und – propagandistisch gestützt durch Lügen und Fälschungen – auf dem Balkan, im Irak.
    Die Folgen dieser Weltpolitik: Elend, Krieg, Terrorismus.
    Worunter Millionen Menschen leiden, wovor Millionen Menschen zu fliehen versuchen. Und dann sind sie hier. Auch hier. Überwiegend sind sie woanders. Im Libanon, in Jordanien, in Pakistan, in der Türkei…
    60 Mio. sind nach Schätzung des Flüchtlingswerks der UN weltweit auf der Flucht. Und die Kosten für die Unterstützung der Flüchtlinge werden laut UN
    „hauptsächlich von armen Regionen getragen, die es sich am wenigsten leisten können“.
    Solidarität? Wer spricht hier davon?

    Was haben wir eigentlich erwartet? Dass die Menschen in zunehmender Hoffnungslosigkeit getrost weiter leben, während der Reichtum anderswo auf ihre Kosten stetig wächst?
    Ihr eigenes Tun lasse ich auf sie selbst zurückfallen – heißt es in der Bibel beim Propheten Hesekiel 22. (Luther: …ließ so ihr Treiben auf ihren Kopf kommen). Wir kriegen nun zurück, was wir gesät haben.

    In dem berühmten Kriminalfilm „Der dritte Mann“ gibt es eine Szene hoch oben auf dem Riesenrad im Wiener Prater. Der Verbrecher wird gefragt, ob er kein Mitleid habe mit den Menschen, die er schädigt. Seine Antwort: „Schauen Sie doch runter, sie sind klein wie Ameisen“.

    Ist das nicht auch unsere, die westliche Perspektive? Die Ameisen, jetzt sehen wir sehen wir sie genauer, zwangsläufig.
    Wer sind diese „Ameisen“?
    In der öffentlichen Diskussion geht es häufig um die Unterscheidung von „guten“ und „schlechten“ Flüchtlinge?
    Ich finde diese Diskussion schräg, wenn getrennt wird nach Flüchtlingen, die gebraucht werden für den Arbeitsmarkt und die Finanzierung unseres Sozialsystems sowie diejenigen, die unsere Gesellschaft finanziell belasten könnten. Das Recht von Flüchtlingen auf Asyl nach ökonomischer Verwertbarkeit zu unterscheiden, ist ethisch pervers.

    Eine andere Unterscheidung halte ich aber für wichtig: Es gibt Menschen, die ein Recht haben auf Asyl und Menschen, die dies nach unserem Gesetz nicht haben. Es sind ebenfalls Flüchtlinge und es ist moralisch legitim, dass sie hier leben wollen. Sie sind aber keine Asylanten, sondern Einwanderer. Für deren Verbleib oder Nichtverbleib braucht es gesetzliche Regelungen. Bereits in den 90er Jahren – vor dem Hintergrund der Kampagne „Das Boot ist voll“ und
    brennenden Asylheimen in Rostock, Hoyerswerda oder Hünxe – haben wir in der Kirche gemeinsam mit der IG Metall ein Einwanderungsgesetz gefordert, mit klaren und transparenten Kriterien. Ich halte diese Forderung für aktueller denn je.

    Auch, um zu verhindern, dass durch eine unscharfe Unterscheidung von Zuwanderern und Asylberechtigten das Asylrecht noch weiter ausgehöhlt wird. Das Asylrecht ist nicht dafür gedacht, Flüchtlinge aus wirtschaftlicher Not aufzunehmen. Aber unser Land ist verpflichtet, allein schon durch die eigene Geschichte, verfolgten Menschen das Recht auf Asyl zu bieten. Das darf nicht angetastet werden! Dafür brauchen wir eine Willkommenskultur – ohne Einschränkung oder Drangsalierung.

    Auf eine „Willkommenskultur“ in unserer Gesellschaft haben aber diejenigen gleichfalls Anspruch, die hier bereits am Rande leben. Es ist wichtig und gut, wenn Gewerkschaft und Arbeitgeberverbände sich in nicht selbstverständlicher Gemeinsamkeit stark machen für Anstrengungen, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
    Aber es darf sich nicht der Eindruck verfestigen, dass Programme für Flüchtlinge gewünscht und notwendig sind, aber die bereits hier lebenden Menschen, die schon lange arbeitslos sind, auch zukünftig aus dem Blick bleiben. Da darf kein Verdrängungsprozess in Gang gesetzt werden, sonst kann sich diese Republik schneller verändern, als wir denken.

    Es wäre jetzt der Augenblick, beim Problem der Langzeitarbeitslosigkeit statt Drangsalierung der Betroffenen endlich Maßnahmen zu ergreifen, wie die Schaffung eines subventionierten „Dritten Arbeitsmarktes“, der Menschen, die kaum oder keine Aussicht auf eine Integration in den Arbeitsmarkt haben, eine Perspektive und würdevolle Betätigung und Teilhabe gibt. Solidarität bedeutet, niemanden zu vergessen und zurückzulassen.

    Das gilt auch für die Millionen AN, die in prekärer Beschäftigung sind. Prekäre Beschäftigung ist die Geißel der neuen Arbeitswelt. Weil es mit dem mangelnden Auskommen trotz Arbeit den Kolleginnen und Kollegen nicht nur das Geld, sondern auch die Würde nimmt, nicht für sich selber ausreichend sorgen zu können. Und zudem unser Rentensystem an die Grenze bringt. Da müssen Lösungen gefunden werden, und die liegen nicht in der Rente mit 70.

    Zunehmende prekäre Beschäftigung, wachsender Niedriglohnsektor: Was bei der Leiharbeit zu beobachten war, setzt sich nun bei den Werkverträgen fort: Die Gier nach billigem Personal nutzt jede Chance, faire Löhne und Arbeitsbedingungen auszuhebeln. Arbeit hat keinen Wert mehr an sich, sondern ist nur noch ein Kostenfaktor. Das ist menschenverachtend!

    Nachdem das bei der Leiharbeit dank tariflicher Vereinbarungen mit Equal-Pay und Mindestlohn diese Gier ein Stück zurückgedrängt werden konnte, wurde mit dem Werkvertrag ein neues Schlupfloch entdeckt. Ich spreche jetzt nicht über Scheinwerkverträge, die sind kriminell und gehören bestraft. Mir geht es um den legalen Missbrauch. Der findet statt, wenn man – sich durchaus im gesetzlichen Rahmen bewegend – solche Arbeitsverhältnisse und ihre Rahmenbedingungen einsetzt, um Lohndumping und Ausbeutung zu betreiben. Das ist strafrechtlich
    nicht relevant, aber es ist ein Verstoß gegen das siebte Gebot: Du sollst nicht stehlen!

    Ich habe mit dem Papst angefangen, hören wir zum Schluss – um der konfessionellen Ausgewogenheit willen – eine evangelische Stimme, von den Gründungsvätern der Sozialen Marktwirtschaft:

    „Wenn das Empfinden für soziale Gerechtigkeit sich verflüchtigt, wenn solidarische Zuwendungen nicht mehr üblich sind, wenn der Sinn des Lebens nur noch in der Akkumulation von materiellen Werten gesehen wird, wenn also der humanistische Geist aus Menschen und Institutionen auswandert, dann hat auch das Konzept der sozialen Marktwirtschaft keine reale historische Chance mehr.“
    Weil der Markt von sich her nicht soziale Gerechtigkeit schafft, weil er das Prinzip der Solidarität nicht kennt, so ist es „umso dringender, außerhalb des Marktbereichs die Solidarität desto mehr zu stärken“, – dafür zu kämpfen, werden wir nicht nachlassen,
    weil – so geht das Zitat weiter – „die Marktwirtschaft selbst einen solchen solidarischen Rahmen braucht, wenn sie…nicht zu einem ungeregelten anarchischen Kampf aller gegen alle ausarten soll.“

    Genau das müssen wir verhindern. Wir werden es verhindern!

    Jürgen Widera
    Pfarrer im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) Duisburg-Niederrhein
    Kundgebung am 1. Mai 2016, Burgtheater Dinslaken

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